Aber bitte mit Sané? Löws schlampiges Genie ist kein Faktor

Aber bitte mit Sané? Löws schlampiges Genie ist kein Faktor

Joachim Löw tobte am Spielfeldrand. Gerade hatte Leroy Sané bei einem Konter in Überzahl mit einer schlampigen Flanke in die Mitte die große Chance zum möglichen 3:2-Siegtor gegen Ungarn und den Gruppensieg verschenkt.

Kevin Volland und Timo Werner lauerten in der Mitte – der Ball flog ins Nirgendwo. Direkt danach schwenkten die Kameras auf den Bundestrainer, der wild gestikulierend auf seine Assistenten Marcus Sorg und Andreas Köpke einredete. «Wir hätten sogar den Siegtreffer machen können», bemerkte Löw später.

Der Chefcoach sprach nach dem erzwungenen 2:2 auch noch erbost über «die Eckbälle, die, so wie sie kamen, nicht zielführend sind». Löw dürfte da auch eine Ecke von Sané gemeint haben, die im hohen Bogen ins Niemandsland flog – von der einen zu anderen Eckfahne.

Vor allem die Konter-Szene aber stand sinnbildlich für den ersten 90-Minuten-Einsatz von Sané, der bei der Fußball-EM nicht zündet. Oder noch nicht zündet? Die Reizfigur spaltet die Nation zunehmend in Sympathisanten und Kritiker. Sané soll(te) eigentlich das sein, was heutzutage mit dem Begriff «Unterschiedsspieler» umschrieben wird.

In der Gruppenphase bestand der Unterschied hauptsächlich darin, dass es eben keinen Unterschied machte, wenn Sané auf dem Platz stand. Der 25 Jahre alte Bayern-Star ist bislang kein EM-Faktor. Im Achtelfinale gegen England dürfte er darum von Löw wieder zum Joker degradiert werden. Thomas Müller wird in Wembley wieder die Offensive anführen, wenn das blessierte rechte Knie einen Startelfeinsatz erlaubt.

Bisher zündet er nicht

Löw und Sané verbindet eine besondere Geschichte. Der Bundestrainer schwärmte schon in den höchsten Tönen von dem mit Talent gesegneten Angreifer, als er diesen am 13. November 2015 beim 0:2 in Paris gegen Frankreich zum Nationalspieler beförderte. Zarte 19 war Sané damals.

Im Jahr darauf nahm Löw den damaligen Schalker mit zur EM nach Frankreich. Beim Halbfinal-Aus gegen den Gastgeber absolvierte er die einzigen zwölf Turnierminuten. Ein Jahr später sagte Sané für den Confed Cup ab – wegen eines medizinischen Eingriffs an der Nase.

2018 folgte der Tiefpunkt: Löw sortierte den damals bei Manchester City auftrumpfenden Sané im Trainingslager vor der WM aus. Kritiker hielten dem Bundestrainer auch das nach dem desaströsen Scheitern in Russland vor. Sané schleppt die Episode mit sich rum. Bis heute.

Löw schätzt Sané immer noch. Vor dem Anpfiff des Ungarn-Spiels sagte er live im ZDF: «Leroy brennt auf diese Chance. Er hat in der Offensive alle Qualitäten. Wenn er die abruft, ist er Weltklasse.»

Die Weltklasse blieb dann 90 Minuten lang verborgen. Sané konnte erst Müller im zentralen Offensivbereich nicht ersetzen. Nach der Pause zündete er auch nicht wie erhofft auf der Außenbahn. «Wir haben Joshua Kimmich in den Halbraum gestellt und Leroy ganz rechts an den Flügel geschickt, in der Hoffnung, dass er dort im Eins gegen Eins und mit der Schnelligkeit nach innen und außen durchbrechen kann», erläuterte Löw: «Aber das ist auch nicht so gelungen.»

Sané braucht Rhythmus

Was nun, Herr Löw? Die Beantwortung der Sané-Frage hat auch im Team große Bedeutung. Größter Sané-Fürsprecher ist Ilkay Gündogan, der um Verständnis für den Künstler wirbt, der durch seine Körpersprache polarisiert. «Leroy ist ein Spieler, der den Rhythmus braucht, der das Gefühl braucht, ständig den Unterschied machen zu können», sagte Gündogan. Sané benötige Vertrauen, kein Zweifeln: «Er muss generell das Selbstverständnis haben zu spielen, dann ist er unglaublich.»

Sané sagte vor dem Turnier über sich: «Ich mag es gar nicht so, den leichten Weg zu gehen.» Er will schon speziell sein. Er traut sich schon extrem viel zu. Als er vor einem Jahr zum FC Bayern kam, wählte er bewusst das Trikot mit der 10. Die Nummer von Arjen Robben. Daran muss er sich seitdem auch in München messen lassen.

Ein Turnier schafft Helden und Verlierer. Leon Goretzka ist vor dem England-Spiel gerade ein Hero, ein Held, ein Idol. Sané dagegen muss aufpassen, nicht von neuen, jüngeren Talenten wie Kai Havertz (22), der gegen Ungarn sein zweites EM-Tor erzielte und den FC Chelsea zuvor zum Champions-League-Triumph schoss, als DFB-Star der Zukunft abgelöst zu werden. Oder von Bayern-Kollege Jamal Musiala (18): Der Jüngste in Löws EM-Kader ist nach seinem kurzen Turnierdebüt gegen Ungarn für viele schon derjenige, auf dem gegen England Hoffnungen ruhen – und nicht Leroy Sané.

Von Klaus Bergmann und Arne Richter, dpa