BVB gegen FC Bayern: Ein Klassiker mit Seltenheitswert

BVB gegen FC Bayern: Ein Klassiker mit Seltenheitswert

Dieser deutsche Clásico ist eine Rarität – nicht nur, weil Dauerbrenner Thomas Müller fehlt. Erstmals seit über einem Jahrzehnt zählen der FC Bayern und Borussia Dortmund beim brisanten Kräftemessen der beiden Branchengrößen nicht zu den Top 2 der Tabelle.

Aber das Bundesliga-Highlight bleibt das ewig heiße Duell der Münchner um Rückkehrer Joshua Kimmich mit dem ohne Marco Reus auflaufenden BVB trotzdem.

Goretzka: «Jetzt sind wir mal die Jäger»

«Das ist das Spiel, worauf sich Fußball-Deutschland das ganze Jahr freut», sagte Nationalspieler Leon Goretzka, der als Ex-Schalker eine besonders emotionale Bindung hegt. «Jetzt sind wir mal die Jäger. Aber das ist wie beim Derby früher. Da war die Tabellensituation eigentlich total egal. Es geht ums Prestige – und um die Vormachtstellung im deutschen Fußball.»

Der Sieger des Klassikers vom Samstag (18.30 Uhr/Sky) thront zumindest für eine Nacht an der Tabellenspitze, ehe Union Berlin und der SC Freiburg wieder vorbeiziehen können. «Tabellarisch ist es ein wichtiges Spiel, als Zeichen ist es ein wichtiges Spiel», sagte Bayern-Trainer Julian Nagelsmann am Freitag, als er das Aus von Müller wegen dessen noch vorhandener Krankheitssymptome nach einer Corona-Infektion verkündete. Beim Einsatz vom ebenfalls freigetesteten Kimmich pokerte Nagelsmann. In welcher Form das Mitwirken des Mittelfeldchefs Sinn mache, müsse man genau prüfen.

Der BVB muss weiter auf Kapitän Reus verzichten, dagegen ist Leader Mats Hummels wieder zurück. Bei der Nummer 1 Gregor Kobel gibt es Hoffnung auf einen Einsatz in der Partie, in der zuletzt immer der Tabellenführer auflief. Diesmal ist das anders.

Als die Münchner am 12. September 2009 als Tabellenachter beim Tabellenzwölften Dortmund mit 5:1 gewannen und von den beiden Champions-League-Größen letztmals keine beim Klassiker in den Top 2 rangierte, bejubelte ein 19-Jähriger namens Thomas Müller seine ersten beiden Bundesliga-Tore. Die neue Generation von zukünftigen Weltstars wie Bayern-Zauberer Jamal Musiala (19) oder Dortmunds Regisseur Jude Bellingham (19) stand damals irgendwo an der Schwelle zwischen Kindergarten und Grundschule.

Nagelsmann schwärmt von Musiala und Bellingham

«Wir können alle genießen, dass so junge Toptalente in der Bundesliga spielen», sagte Nagelsmann über Musiala und Bellingham. «Ich gehe bei beiden davon aus, dass sie die tragenden Rollen, die sie aktuell ausfüllen, auch im gesamten Saisonverlauf einnehmen, und dass sie auch für ihre Nationalmannschaften eine große Bedeutung haben.» Jüngst trafen beide beim 3:3 zwischen Deutschland und England aufeinander.

«Jude spielt eine sehr konstante Saison», sagte BVB-Trainer Edin Terzic. «Wichtig ist, dass er seine Emotionen im Griff behält.» Das hatte der Mittelfeldakteur im Dezember 2021 nach einem 2:3 nicht, als er gegen den damaligen Schiedsrichter Felix Zwayer wetterte. Im Signal Iduna Park, wo es einen nie dagewesenen Medienandrang mit Reportern von allen Kontinenten und über 20 TV-Stationen gibt, steht auch Schiedsrichter Deniz Aytekin im Blickpunkt.

Hamann: «Musiala ein Jahrhundertspieler»

Alle Stars wollen glänzen. Sky-Experte Dietmar Hamann bezeichnet Musiala als «Jahrhundertspieler», Rekordnationalspieler Lothar Matthäus prophezeit beiden große Ehren. «Wenn sie so weiter performen, werden sie bei der nächsten Ballon d’Or-Wahl zumindest nominiert», sagte der Sky-Experte. Prägende Figuren sind die zwei 19-Jährigen in dieser Saison allemal.

Doch beide konnten auch nicht verhindern, dass ihre Mannschaften in dieser Saison wechselhaft auftraten. Kein Rivale konnte die Schwächephase des jeweils anderen nutzen – umso wichtiger ist der Erfolg im direkten Duell. «Jetzt können alle zeigen, was sie drauf haben», sagte der Münchner Sportvorstand Hasan Salihamidzic. Auch die Borussia ist heiß. «Wir haben extrem Bock auf den FC Bayern», tönte Nationalspieler Julian Brandt.

Nach den torreichen Siegen in der Champions League beim 5:0 der Münchner gegen Viktoria Pilsen und dem 4:1 von Dortmund in Sevilla wollen beide Topteams im ersten direkten Duell auch ohne die abgewanderten Robert Lewandowski und Erling Haaland nachlegen. Zwar glückten den Bayern in dieser Saison schon 23 Tore in acht Liga-Spielen, aber wie nachhaltig das neue Offensivkonzept um den Klassiker-Debütanten Sadio Mané und den gegen Pilsen herausragenden Leroy Sané ist, muss sich erst noch erweisen. Serge Gnabry dürfte wieder für Müller auflaufen.

Dortmunds Offensive bislang nicht in Fahrt

Deutlich schwerer als die Münchner nach Lewandowski tut sich der BVB in der Post-Haaland-Saison mit nur elf Treffern. Anthony Modeste überzeugte nicht, Sturmjuwel Youssoufa Moukoko (17) rückt nun noch mehr in den Blickpunkt. Ohne Treffer in der Bundesliga bejubelte der einst auch von Bayern umworbenen Karim Adeyemi in der Champions League sein erstes BVB-Tor. «Es gibt nichts Schöneres, wenn beide treffen», sagte Terzic.

Führungsspieler Bellingham, Top-Zweikämpfer in der Bundesliga, fordert vom BVB einen ähnlichen Auftritt wie in Spanien. «Wenn wir so wie in Sevilla spielen, haben wir eine gute Chance, am Samstag zu gewinnen», sagte der BVB-Taktgeber. Mit seinen 19 Jahren führte er die Borussia zuletzt in Vertretung von Reus sogar zweimal als Kapitän an.

Bellingham führt den BVB an, auf der anderen Seite verzückt Musiala mit Tricks und Dribblings. «Wir müssen die gleiche Leistung über mehrere Spiele bringen», mahnte Musiala als Münchner Toptorschütze und Topscorer.

Christian Kunz und Holger Schmidt, dpa