Deutschlands Gegner: Verspielt Island alle Sympathien?

Deutschlands Gegner: Verspielt Island alle Sympathien?

Der isländische Schlachtruf «Huh!» der klatschenden Fans und Spieler klang lange nach. Mit pragmatischem Fußball und Außenseitermentalität schaffte es Island bei der EM 2016 bis ins Viertelfinale, begeisterte seine Fans und erspielte sich große Sympathien.

Fünf Jahre später ist davon nicht mehr viel übrig. Sportlich läuft es vor dem WM-Qualifikationsspiel gegen Deutschland in Reykjavik (20.45 Uhr/RTL) schlecht. Obendrein erschüttert ein Skandal den einst so gemütlich und freundlich anmutenden isländischen Fußball.

Anschuldigungen über sexuelle Belästigung und Missbrauch, die bereits einige Jahre zurückliegen, sorgten zuletzt im Inselstaat mit knapp 360.000 Einwohnern für Wirbel. Eine Frau hatte gesagt, sie sei 2017 von einem Nationalspieler in einem Nachtclub missbraucht worden. Wegen der Affäre sind der Präsident des isländischen Fußballverbands KSI, Gudni Bergsson, und der gesamte Vorstand inzwischen zurückgetreten. Der Vorwurf der Vertuschung steht im Raum. Der Verband kündigte eine gründliche Untersuchung an.

Sigthórsson suspendiert

Bergsson hatte gesagt, der KSI hätte nie Beschwerden oder Hinweise zu Vorwürfen sexueller Übergriffe erhalten. Eine der mutmaßlich Betroffenen berichtete daraufhin beim isländischen Fernsehsender RUV, ein Anwalt habe ihr sogar Schweigegeld angeboten. Obwohl sie sich gemeinsam mit einer weiteren Betroffenen an die Polizei und an den Verband gewandt habe, habe der mutmaßliche Täter anschließend weiter in der Nationalmannschaft gespielt.

Inzwischen teilte Stürmer Kolbeinn Sigthórsson mit, er sei einer der Beschuldigten. Er habe sich damals in einem Club «unangemessen» verhalten, räumte der 31-Jährige ein. Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs wies er aber zurück. Er habe sich später mit den Frauen getroffen, sich entschuldigt und auf Wunsch der beiden drei Millionen isländische Kronen (20.000 Euro) an eine Hilfsorganisation gezahlt. Sigthórsson, der im EM-Achtelfinale 2016 mit seinem Siegtor zum 2:1 gegen England berühmt geworden war, ist vorerst suspendiert.

Island-Coach Arnar Thor Vidarsson äußerte sich am Dienstag nur vage zu den Ereignissen der letzten Tage. «Jeder liest die Medien, das war schwer und absolut nicht ideal», sagte Vidarsson. Die Mannschaft sei mit der schwierigen Situation allerdings gut umgegangen. «Ich bin stolz auf meine Jungs und wir arbeiten weiter.»

Einige Ausfälle

Rein sportlich gesehen machen dem Team neben Sigthórsson weitere Ausfälle zu schaffen. Augsburgs Alfred Finnbogason ist nach Verletzungsproblemen noch nicht wieder zum Nationalteam zurückgekehrt. Aron Gunnarsson steht wegen einer Corona-Infektion nicht zur Verfügung. Obendrein fehlt Gylfi Sigurdsson, der in dieser Saison auch bei seinem Club FC Everton noch nicht im Kader stand.

Immerhin gab es wenige Tage vor dem Deutschland-Spiel im Stadion Laugardalsvöllur eine positive Nachricht, über die sich Island-Fans freuen konnten. Gegen Nordmazedonien erzielte Andri Lucas Gudjohnsen das Tor zum 2:2-Ausgleich. Der 19-Jährige gehört damit zur dritten Generation von isländischen Fußballern mit dem Namen Gudjohnsen auf dem Trikot. Sein Vater ist das nationale Fußballidol Eidur Gudjohnsen, der früher für Chelsea und den FC Barcelona Tore schoss, Rekordtorschütze und heute Co-Trainer Islands ist. Zuvor hatte schon Andris Großvater Arnór für das isländische Nationalteam gespielt.

Von Philip Dethlefs, dpa