Die China-Krise: IOC im Fall Peng Shuai in Not

Die China-Krise: IOC im Fall Peng Shuai in Not

Der Fall Peng Shuai wird immer mehr zur Nagelprobe für das IOC und den Weltsport im Umgang mit China.

Der mutige Schritt der Frauentennis-Tour WTA, wegen der unklaren Lage um die 35-Jährige alle Turniere in China auszusetzen, steht im scharfen Kontrast zum wachsweichen Kurs des Internationalen Olympischen Komitees. Thomas Bachs Ringezirkel verteidigte seine Linie gegenüber dem Gastgeber der Winterspiele von Peking am Donnerstag als «stille Diplomatie». Die Kritiker des IOC dürfte das kaum besänftigen. Gerade erst hat auch die designierte Außenministerin Annalena Baerbock einen politischen Boykott von Olympia in China nicht ausgeschlossen.

Längst ist die Affäre um die chinesische Tennisspielerin zu einer Art Präzedenzfall geworden. Die frühere Nummer eins der Doppel-Weltrangliste hatte Anfang November im sozialen Netzwerk Weibo Vorwürfe wegen eines sexuellen Übergriffs durch einen chinesischen Spitzenpolitiker veröffentlicht. Ihr Post wurde bald danach gelöscht. Wegen der anhaltenden Sorge um Peng Shuais Wohlergehen sorgt die WTA nun für ein Novum auf der großen Sportbühne.

WTO konsequent

Konsequent stellt sich die Tennis-Organisation gegen Chinas Machthaber und nimmt dabei auch finanzielle Einbußen in großer Höhe in Kauf. China ist mit einer Reihe von Veranstaltungen wichtiger Geldgeber der Damen-Tour. Mit der Stadt Shenzen gibt es einen laufenden Zehnjahresvertrag über die Austragung der WTA-Finals.

Bislang galt eigentlich bei IOC, FIFA, UEFA, den großen Sportligen und Sportartikelgiganten der Welt Kritik an Menschenrechtsverstößen in China auch angesichts des dortigen Milliardenmarkts als schwer geschäftsschädigend. Mit diesem Tabu brach nun die WTA. «Wenn mächtige Menschen die Stimmen von Frauen unterdrücken können und Vorwürfe von sexuellem Missbrauch unter den Teppich kehren, dann würde das Fundament, auf dem die WTA gegründet wurde – Gleichberechtigung für Frauen – einen immensen Rückschlag erleiden», teilte WTA-Chef Steve Simon mit.

Im Gegensatz zu Simon erwähnte das IOC in seinen Mitteilungen zu der Sache weder die Vorwürfe von Peng Shuai noch wurde klar, ob sich die Athletin frei und unzensiert äußern konnte. «Es gibt verschiedene Wege, ihr Wohlergehen und ihre Sicherheit zu erreichen», konterte der Ringezirkel. IOC-Chef Bach hatte am 21. November mit Peng Shuai gesprochen, am Mittwoch gab es nach Angaben des Dachverbandes eine weitere Videoschalte. Man werde im regelmäßigen Kontakt mit Peng Shuai bleiben und habe ein persönliches Treffen mit ihr für Januar vor den Winterspielen in Peking vereinbart, hieß es.

Das Schicksal von Peng Shuai gibt auch nach Meinung der Herrentennis-Profiorganisation ATP weiterhin Anlass zu «großer Besorgnis innerhalb und außerhalb des Sports». Wie ATP-Chef Andrea Gaudenzi laut Mitteilung betonte, seien Reaktionen auf diese Sorgen bisher ausgeblieben. Die ATP bekräftigte ihre Forderung nach «direkter Kommunikation zwischen der Spielerin und der WTA, um so ein klareres Bild von ihrer Situation zu bekommen». Die ATP werde die Entwicklungen in diesem Fall weiterhin genau verfolgen.

«Nachprüfbare Beweise» gefordert

Mit seinem Verhalten laufe das IOC «Gefahr, die systematischen Repressalien gegen unliebsame Personen in China zu legitimieren und damit zum Kollaborateur der chinesischen Staatsführung zu werden», hatte der deutsche Athletenvertreter Maximilian Klein der «Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung» gesagt. Auch die EU hatte zuletzt «nachprüfbare Beweise» von China gefordert, dass es Peng Shuai gut geht und sie sicher ist. Zudem pocht die EU auf uneingeschränkte und transparente Ermittlungen zu den Vorwürfen.

Nicht zuletzt auch wegen dieses Falls forderte Grünen-Politikerin Baerbock, die Winterspiele in Peking in den Blick zu nehmen. «Da gibt es für Regierungen unterschiedliche Formen des Umgangs, die in den kommenden Wochen sicherlich diskutiert werden», sagte Baerbock der «tageszeitung». Wegen des Vorgehens von China, vor allem gegen Minderheiten wie den muslimischen Uiguren, erwägen auch die USA einen diplomatischen Boykott von Olympia. Ein Sprecher des Pekinger Außenministeriums verurteilte indes erneut alle Maßnahmen, mit denen der Sport «politisiert» würde.

Menschenrechtsgruppen fordern schon lange auch vom Sport eine klare Position gegenüber China. Doch die Realität sieht meist anders aus. So ging die nordamerikanische Basketball-Liga NBA eilig auf Distanz zum damaligen Manager der Houston Rockets, als dieser via Twitter seine Unterstützung für die Demokratiebewegung in Hongkong erklärte. Zu viel Geld stehe auf dem Spiel, rechnete der damalige NBA-Chef vor.

FIFA und UEFA kassieren China-Millionen

Immer mehr Millionen kassieren auch die großen Fußballverbände FIFA und UEFA von chinesischen Sponsoren. Bei der EM im Sommer sorgten die Werbebanden mit chinesischen Schriftzeichen für Aufsehen. Die Unternehmen wollten «durch Fußball eine gute Beziehung zur Regierung herstellen», sagte der Branchenexperte Tobias Ross.

Auch der Leichtathletik-Weltverband unterhält starke Beziehungen zu China. Das Unternehmen Wanda ist seit 2020 der Titelsponsor der Diamond League. Die Formel 1 verlängerte jüngst den Vertrag für das Rennen in Shanghai, erstmals steigt im nächsten Jahr dank kräftiger Unterstützung heimischer Sponsoren ein Chinese zum Stammpiloten auf.

Besonders im Fokus aber steht weiter das IOC. Seit Monaten weicht Präsident Bach Fragen zur Menschenrechtslage im Land des Olympia-Gastgebers aus. Experten fürchten, dass Peking seine strikte Null-Covid-Politik bei den Winterspielen auch zu verschärfter Zensur nutzen könnte. Der Fall Peng Shuai und die Standfestigkeit der WTA kommen für das IOC daher zur Unzeit. Martina Navratilova, einst Tennis-Weltranglistenerste, ätzte via Twitter: «IOC, was sagst du? Bislang kann ich dich kaum hören.»

Von Christian Hollmann, Volker Gundrum und Maximilian Haupt, dpa