Pechstein: «Das ist schon irgendwie ein geiles Gefühl»

Pechstein: «Das ist schon irgendwie ein geiles Gefühl»

Bisher war Claudia Pechstein schon Deutschlands erfolgreichste Winter-Olympionikin, nun ist die Ausnahme-Eisschnellläuferin auch noch weltweite Rekordhalterin: In Peking startet die 49-jährige Berlinerin als erste Frau bei ihren achten Olympischen Winterspielen.

Zudem ist sie eine von drei Kandidatinnen als Fahnenträgerin bei der Eröffnungsfeier. Im Interview mit der Deutschen Presse-Agentur spricht die fünfmalige Olympiasiegerin über ihre Erwartungen, Olympia-Kleidung und -Medaillen sowie ihre schwerste Zeit und die andauernden Folgen.

Ein kurzer Rückblick auf die EM: Welche Erkenntnisse haben Sie von dort mit Blick auf Olympia mitgenommen?

Claudia Pechstein: Für mich war die EM schon vorher nur eine Trainingsstation. Aber ich bin zufrieden mit meinen 3000 Metern. Das war ein sehr konstanter Lauf und damit natürlich auch sehr gutes Training. Der Massenstart war für mich ein bisschen unglücklich, dadurch dass direkt vor und hinter mit zwei Läuferinnen gestürzt sind. Eine ist dann auch noch an meinem Schlittschuh hängengeblieben. Glücklicherweise konnte ich mich durch eine Eiskunstlaufeinlage auf den Beinen halten und einen Sturz vermeiden. Doch das hat natürlich Zeit gekostet und ich hatte in der Folge keine Chance mehr, an die führende Gruppe heranzulaufen. Natürlich wäre ich gern ein bisschen weiter vorn gelandet. Aber am Ende war es so, wie es ist. Das ist nun mal ein Lotterie-Rennen.

Sie sind gleich nach der EM schon wieder ins Trainingslager nach Inzell gefahren…

Pechstein: Was heißt Trainingslager? In Berlin ist kein Eis, deswegen muss ich mich anderweitig orientieren.

Was ich eigentlich fragen wollte: Wann war Ihr letzter sportfreier Tag und wie haben Sie den verbracht?

Pechstein: Am 1. Januar zum Beispiel habe ich nichts getan. Ich bin relativ entspannt. Ich bin nicht täglich im Training, denn der Körper braucht ja auch mal ein bisschen Zeit und Pause. Der Wintersportler wird ohnehin im Sommer gemacht. Wenn ich jetzt denken würde, ich hätte etwas verpasst, bräuchte ich nicht mehr zu versuchen, etwas aufzuholen. Denn das, was du jetzt an Grundlagen trainieren würdest, das wirkt nicht mehr im Februar.

Was motiviert Sie, sich fast täglich im Training zu quälen?

Pechstein: Das sind auf jeden Fall die Olympischen Spiele. Ich versuche, noch so an der Form zu feilen, dass es gut passt. Grundsätzlich brauche ich in meinem Alter nicht mehr darüber nachzudenken, etwas zu ändern. Bei mir ist die Technik wie immer. Ich bereite mich eben mental auf Olympia vor und hoffe einfach, dass ich gesund bleibe. Positive Einstellung, negative Corona-Tests. Das passt.

Nach der Nominierung waren Sie bei der Olympia-Einkleidung – zum achten Mal. Was haben Sie mit all den alten Olympia-Klamotten gemacht?

Pechstein: In der Altkleidersammlung ist nichts gelandet. Ich habe eine große Familie, meine Schwestern haben sich auch über die einen oder anderen Sachen gefreut. Ich habe tatsächlich noch relativ viele Sachen selber, weil das was Spezielles und Besonderes ist. Die Teile kann man ja nicht einfach so irgendwo kaufen.

Wo bewahren Sie Ihre Olympia-Medaillen auf?

Pechstein: Ich habe die Medaillen in einem Schließfach bei einer Bank, weil man die nicht nachmachen kann. Ich wollte für meinen ehemaligen Trainer Joachim Franke ein Duplikat anfertigen lassen, als Dankeschön. Aber das darf man eben nicht. So eine Olympia-Medaille ist ja eigentlich nicht viel Wert, was das Material angeht. Aber der ideelle Wert ist unbezahlbar. Deswegen habe ich sie zur Sicherheit in einem Bankschließfach.

Wie beurteilen Sie die Chancen, dass noch eine weitere Medaille dazukommt?

Pechstein: Das ist illusorisch, darüber nachzudenken. Ich habe das schon eine ganze Weile gesagt, dass ich nicht mehr um Medaillen kämpfe. Das ist Realismus pur. Manche sagen, im Massenstart ist immer eine Überraschung möglich. Das stimmt zwar, aber trotzdem bin ich Realist und sage, dass ich keine Olympia-Medaille mehr holen kann. Aber das ist auch nicht schlimm, denn ich habe ja neun olympische Medaillen.

Mit der achten Olympia-Teilnahme schreiben Sie Geschichte. Wie real ist das schon für Sie?

Pechstein: Ich bin jetzt definitiv nominiert worden. Vonseiten des DOSB ist offiziell ein Haken dran. Jetzt kann Olympia kommen. Und dann ist es so, dass ich versuche, negativ in Peking anzukommen und vor Ort auch negativ zu bleiben, um bei meinen achten Spielen dann auch wirklich starten zu können. Diese große Sorge haben wohl alle qualifizierten Sportler. Kurz vor dem Start noch ein positiver Corona-Test und die Arbeit der vergangenen vier Jahre wäre für die Katz. Sollte alles gut gehen, werde ich dann wohl erst vor Ort realisieren, dass ich die einzige Frau weltweit bin, die achte Winterspiele erleben kann. Das ist schon irgendwie ein geiles Gefühl.

Es könnten ja auch schon Ihre neunten Spiele sein. Fühlen Sie sich um diesen Rekord gebracht?

Pechstein: Ich fühle mich um mein Image, um mein Recht, um alles gebracht, was mit meiner Karriere als Sportler zusammenhängt. Schlimmer noch: Die Konsequenzen dieses Fehlurteils haben ja auch meine Privatsphäre beeinflusst. Mein Leben wäre komplett anders verlaufen, wenn die ISU und der CAS mich nicht zum Versuchskaninchen für den indirekten Beweis gemacht hätten. Wir würden uns heute wahrscheinlich gar nicht unterhalten, wenn ich fair behandelt worden wäre. Hätte ich 2010 bei den Spielen in Vancouver unter normalen Bedingungen starten dürfen, hätte ich womöglich im Anschluss daran aufgehört. Viele sagen, eigentlich sind es deine neunten Spiele. Doch das kann man so nicht mit Bestimmtheit sagen. Wäre, wenn und hätte sind sowieso nicht meins. Fakt ist, dass ich mich für meine achten Spiele qualifiziert habe und gleichzeitig noch meinen Kampf um Gerechtigkeit weiter bestreite.

Von 2009 bis 2011 waren Sie gesperrt – offiziell wegen Dopings – und haben deswegen Vancouver verpasst. Im Nachhinein wurde jedoch eine Blutanomalie festgestellt. Wie blicken Sie mehr als zehn Jahre später auf diese Zeit zurück?

Pechstein: Ich bin nicht wegen Dopings gesperrt worden. Weil den Sportrichtern damals die Hinweise auf eine Blutanomalie als Ursache für meine schwankenden Werte nicht ausreichten, mutmaßten sie, ich müsste gedopt haben. Ein fahrlässiger Trugschluss. Mittlerweile gibt es eine klare Diagnose, weil sich auch meine Eltern untersuchen ließen. So wurde nachgewiesen, dass die Anomalie von meinem Vater vererbt wurde. Mit dem Tag dieser Diagnose war die Sache geklärt und ich konnte nach vorne schauen. Ich habe ein super Team um mich herum, allen voran Matthias (Anmerkung der Redaktion: Matthias Große, Präsident der Deutschen Eisschnelllauf- und Shorttrack-Gemeinschaft). Dass ich ihn kennengelernt habe, war das einzige Positive während meiner Sperre. Ich bin heute noch froh, dass ich mich in der Zeit nicht selbst um alles kümmern musste. Wenn ich das hätte machen müssen, hätte ich keinen Meter mehr laufen können.

Wann werden Sie damit abschließen können?

Pechstein: Ich werde definitiv den Weg des Schadensersatzgesuchs weitergehen. Siegen oder sterben ist sinnbildlich mein Motto für das Verfahren, mit dem sich derzeit das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Ich habe nichts mehr zu verlieren. Mir wurde damals alles genommen. Ich saß schon im Auto und wollte mir das Leben nehmen. Ich bin froh, dass ich es nicht getan habe. Ich werde bis zum Ende kämpfen, und wenn ich bis zum Europäischen Gerichtshof gehen muss, gehe ich auch dahin. Es gab niemals einen positiven Test von mir. Jeder weiß, dass das ein Fehlurteil war.

Wie ist das seither: Haben Sie ein Attest oder einen Blutpass, in dem die Anomalie festgehalten ist?

Pechstein: Die Ergebnisse meiner Dopingkontrollen werden im Blutpass erfasst, wie bei allen anderen auch. Das ist auch alles transparent im ADAMS. Selbstverständlich sorgt die von meinem Vater vererbte Anomalie bei mir nach wie vor für schwankende Retikulozytenwerte. Ich habe mich in der Vergangenheit ja bereits dreimal selbst angezeigt, als die Werte ähnlich hoch waren wie damals, als ich gesperrt wurde. Merkwürdig ist nur, dass das zu keinerlei Reaktion der ISU geführt hat. Das ist ein klarer Beweis dafür, dass längst auch beim Weltverband alle wissen, dass man mir großes Unrecht zugefügt hat. Sonst hätte man mir doch schon längst ein weiteres Mal den Prozess gemacht.

Nun sind Sie im Gespräch als deutsche Fahnenträgerin. Was würde Ihnen das bedeuten?

Pechstein: Es ist bereits eine große Ehre für mich, dass ich im Gespräch bin. Wenn es so kommen sollte, umso mehr.

Patrick Hausding und Laura Ludwig haben gemeinsam die Fahne in Tokio getragen. Welchen Mann können Sie sich dafür in Peking an Ihrer Seite vorstellen?

Pechstein: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht. Das liegt auch nicht in meiner Hand. Francesco Friedrich ist nicht nur Doppel-Olympiasieger von 2018, sondern gewinnt ja im Bob zurzeit alles. Ich denke, dass er ein Kandidat bei den Männern sein könnte.

Achte Olympische Spiele – wenn man die Acht auf die Seite legt, hat man unendlich. Sportkarrieren sind nicht unendlich. Wie nah sind Sie dem Ende Ihrer Laufbahn?

Pechstein: Das bin ich schon oft gefragt worden. Im Moment ist es so, dass ich mich auf Olympia konzentriere und mein Ding mache. Seit 2002 laufe ich von Olympia zu Olympia. Zuletzt auch von Jahr zu Jahr. Eisschnelllauf ist mein Leben. Sport ist mein Leben.

Kurz nach Peking feiern Sie Ihren 50. Geburtstag. Wie laufen die Planungen für die Party?

Pechstein: Unter Corona-Bedingungen brauchen wir nicht über eine Party zu reden. Ich sage immer, der Geburtstag ist ein Tag wie jeder andere. In meinem Alter habe ich als Sportler jeden Tag Geburtstag (lacht). Erstmal möchte ich die Olympischen Spiele bestehen.

Zur Person: Die Eisschnellläuferin Claudia Pechstein nimmt als erste Frau zum achten Mal an Olympischen Winterspielen teil. Die Berlinerin hat seit ihrem Debüt 1992 in Albertville fünfmal Gold sowie je zweimal Silber gewonnen und gilt als erfolgreichste deutsche Wintersportlerin. Zwei Tage nach Abschluss der Spiele feiert die Bundespolizei-Beamtin am 22. Februar ihren 50. Geburtstag.

Von Martin Kloth, dpa