Vorfreude in Dortmund, Gelassenheit in München – anders als viele bisherige Wechsel zwischen den beiden Erzrivalen schürte der von Niklas Süle keine neue Zwietracht. Die Auffassung der Bayern, den Weggang des Nationalspielers verschmerzen zu können, mindert die Aufregung.
«Ich glaube nicht, dass es ein sportlicher Aufstieg ist», kommentierte Präsident Herbert Hainer den Transfer am Dienstag vor Journalisten ohne große Sorge, dass der BVB damit zu einer größeren Gefahr für die eigene Vormachtstellung werden könnte: «Dortmund sucht immer den Wettbewerb mit uns. Aber wie Sie in den letzten zumindest neun Jahren gesehen haben, wissen wir uns gut zu wehren.»
Mit gönnerhaftem Unterton reagierte der Uli-Hoeneß-Nachfolger auf die schnelle Entscheidung von Süle zugunsten der Dortmunder: «Ich hatte nicht gedacht, dass es seine erste Wahl ist». Für die Klagen des 26 Jahre alten Abwehrspielers über die fehlende Wertschätzung in München brachte Hainer wenig Verständnis auf: «Ich kann nur von mir sprechen und den Leuten beim FC Bayern, mit denen ich täglich zusammen bin: Wir alle haben ihn geschätzt und wissen, was wir an ihm haben.»
Trotz des nahen Abschieds von Süle im Sommer hofft der Vereinsboss auf dessen professionelle Einstellung: «Ich gehe davon aus, dass er die letzten drei Monate richtig Gas gibt, damit er mit uns die Titel einfahren kann, die wir alle vor uns haben.»
Watzke: Keine Kampfansage an die Bayern
Hans-Joachim Watzke wollte die Verpflichtung von Süle nicht als Kampfansage an den deutschen Rekordmeister verstanden wissen. «Wir haben ja den Bayern keinen Spieler abgeworben», sagte der BVB-Geschäftsführer der «Frankfurter Rundschau» mit Verweis auf die Vorteile des Wechsels. «Es gab nur Argumente für diesen Transfer. Niklas ist im besten Alter, er ist Stammspieler in der Nationalmannschaft, hat jede Menge internationale Erfahrung und ist ablösefrei.»
Im Gegensatz zu solch brisanten Wechseln wie die von Mario Götze und Mats Hummels blieb es bislang bei eher kleinen Spitzen. Süle ist guter Dinge, in Dortmund das zu finden, was er in München zuletzt vermisste: «Ich habe von der ersten Kontaktaufnahme an sofort gespürt, dass die Verantwortlichen des Vereins ganz große Lust darauf haben, mit mir zu arbeiten. Die Art und Weise wie sie sich um mich bemüht haben, hat mir imponiert, so dass ich schnell wusste, wo ich künftig spielen werde.»
Flick sieht Wechsel als «gutes Zeichen»
Bundestrainer Hansi Flick sagte bei «Sport1» zu dem Wechsel: «Ich freue mich sehr für die Bundesliga und natürlich ganz besonders für Niklas. Die Qualität, die er hat, tut der Liga enorm gut. Für die Nationalmannschaft ist dieser Wechsel auch mit Blick auf die kommende WM in Katar ein gutes Zeichen, weil Niklas in Deutschland bleibt und seine Klasse hier weiter zeigen kann.»
Nicht nur die schmeichelnden Worte der BVB-Führung, sondern auch das Geld dürften für Süle eine große Rolle gespielt haben. Obwohl der BVB aufgrund des im Sommer auslaufenden Vertrages keine Ablöse für Süle zahlen muss, wird der Wechsel zu einer kostspieligen Angelegenheit. Schenkt man den kolportierten Zahlen über die Höhe des Münchner Gehaltangebotes glauben, dürfte der 1,95 Meter große Verteidiger im Dortmunder Kader künftig zu den Topverdienern zählen.
«Niklas hatte auch Optionen, bei denen er mehr Geld verdient hätte», verriet sein Berater Volker Struth der «Bild», «aber er hat sich sehr zeitnah nach der ersten Kontaktaufnahme für diesen Verein entschieden.»
Chronische Abwehrprobleme beim BVB
Die Verpflichtung wurde in vielen Schlagzeilen als «Transfercoup» gefeiert. «Wir freuen uns, dass wir in Niklas Süle einen deutschen Nationalspieler ablösefrei verpflichten und für vier Jahre an uns binden konnten», kommentierte Sportdirektor Michael Zorc nicht ohne Stolz. Nur selten dürfte beim Revierclub des Timing für die Verkündung eines Neuzugangs besser gepasst haben. Schließlich hatte der Bundesliga-Zweite nur einen Tag zuvor beim deprimierenden 2:5 gegen Verfolger Leverkusen zum wiederholten Mal eklatante Defensivprobleme erkennen lassen und im Titelkampf mit den Bayern die weiße Fahne gehisst.
Nicht nur die höchste Zahl an Bundesliga-Gegentreffen seit 14 Jahren erhöhte den Handlungsbedarf. Auch die unsichere Vertragssituation bei den zentralen Abwehrspielern im eigenen Kader zwang zur Suche nach Alternativen. Schließlich laufen die Arbeitspapiere der beiden Stammkräfte Manuel Akanji und Mats Hummels 2023 aus, der Kontrakt mit Dan-Axel Zagadou endet gar schon in diesem Sommer.
Zudem scheint Süle besser zu der von BVB-Trainer favorisierten Defensivstrategie mit hohem Pressing zu passen. Mit schnelleren Abwehrspielern lassen sich drohende Konter des Gegners besser kontrollieren. Der künftige Sportdirektor und aktuelle Lizenzspielerchef Sebastian Kehl glaubt an Fortschritte: «Niklas verfügt über viel Erfahrung, Ruhe im Aufbauspiel und über die nötige Physis, um ab dem Sommer gemeinsam mit uns den nächsten Schritt zu gehen.»