Novak Djokovic träumte, Stefanos Tsitsipas trauerte. Während Djokovic nach seinem großen Triumph in Paris bislang Unerreichtes im Herren-Tennis anstrebt, erinnerte Final-Verlierer Tsitsipas daran, dass das Leben einen tieferen Sinn hat.
Der nach dem mehr als vierstündigen Endspiel untröstlich wirkende Grieche machte öffentlich, dass unmittelbar vor dem Betreten des Court Philippe Chatrier seine Großmutter starb. In einem emotionalen Instagram-Post betrauerte der 22-Jährige mit philosophischen Worten seine geliebte Omi. «Im Leben geht es nicht ums Gewinnen oder Verlieren. Es geht darum, jeden einzelnen Moment zu genießen, egal ob allein oder mit anderen», schrieb Tsitsipas. «Trophäen in die Luft zu stemmen und Siege zu feiern ist etwas, aber nicht alles.»
Trauer um Großmutter
Fünf Minuten vor dem Endspiel, in dem er nach einer 2:0-Satzführung auf seinen bislang größten Erfolg zuzusteuern schien, habe seine Großmutter ihren Kampf mit dem Leben verloren. «Eine weise Frau, deren Glauben ans Leben und deren Willen zu geben und zu versorgen, mit keinem anderen Menschen verglichen werden kann, den ich je getroffen habe», erklärte Tsitsipas. Es sei wichtig, dass es mehr solche Menschen auf der Welt gebe. «Denn Menschen wie sie erwecken dich zum Leben», betonte er.
Der Weltranglisten-Vierte dankte ihr neben einem Foto von sich mit dem silbernen Tablett für den unterlegenen Finalisten: «Ich möchte sagen, dass unabhängig vom Tag, den Umständen und der Situation alles ihr gewidmet ist und nur ihr.» Seine Großmutter habe seinen Vater aufgezogen, der auch sein Trainer ist. «Ohne ihn wäre das nicht möglich gewesen», schrieb Tsitsipas.
Golden Slam als Ziel
Djokovic hatte während der Siegerehrung seine Frau und seine Kinder als größte Motivation bezeichnet – auch der 34-Jährige weiß natürlich um die wahren Dinge des Lebens. Andererseits hat die Nummer eins der Welt nach dem 19. Grand-Slam-Titel und erst recht der Art und Weise allen Grund, von dem zu träumen, was Steffi Graf vor 33 Jahren bei den Damen schaffte: den Golden Slam. 1988 glückte dem deutschen Tennis-Idol der Gewinn aller vier Grand-Slam-Turniere, dazu gab es den Olympiasieg in Seoul.
«Alles ist möglich, und ich habe mich in eine gute Position für den Golden Slam gebracht», sagte Djokovic zwei Wochen vor dem Auftakt in Wimbledon, wo er zu den Grand-Slam-Rekordturniersiegern Roger Federer und Rafael Nadal aufschließen könnte.
Doch im selben Atemzug erinnerte er an 2016: Damals hatte Djokovic endlich den ersehnten ersten Triumph im Stade Roland Garros geholt und hielt alle vier Grand-Slam-Titel zur gleichen Zeit. «Das endete mit dem Drittrunden-Aus in Wimbledon», stellte der einstige Schützling von Boris Becker trocken fest. Becker selbst sagte als Experte bei Eurosport: «Nicht von dieser Welt, was für ein Typ. Er macht Unmögliches möglich.»
Presse feiert Djokovic
Das Kunststück, die vier wichtigsten Turniere in einem Kalenderjahr für sich zu entscheiden, glückte bei den Herren bislang nur dem Amerikaner Donald Budge 1938 und dem Australier Rod Laver 1962 und 1969. «Niemand ist wie Novak Djokovic!», stellte die serbische Zeitung «Politika» fest. Und «Kurir» jubelte: «Unzerstörbar! Nach dem Sieg in Paris ist Novak auf dem Weg, der beste Spieler in der Geschichte des Tennis zu werden.» Der nicht bei allen Fans populäre Belgrader, der in der Corona-Krise mitunter keine gute Figur abgab, könnte schon nach den US Open mit dann 21 Grand-Slam-Titeln Federer und Nadal überflügelt haben.
Tsitsipas bekam nach seiner Niederlage aus der Heimat viel Aufmunterung. «Du hast uns über die Maßen stolz gemacht», schrieb «Ta Nea», und «Live Sport» betonte: «Du bist die Nummer 1 in unseren Herzen» – Trost, den Tsitsipas wohl nötiger hatte, als zunächst zu ahnen war.