«Komplexe abgelegt»: DEB-Team sieht sich in der Weltspitze

«Komplexe abgelegt»: DEB-Team sieht sich in der Weltspitze

Deutschlands Eishockey fühlt sich trotz der bitteren Enttäuschung zum WM-Abschluss endgültig in der Weltspitze angekommen.

Müde von einer letzten Party-Nacht in Riga im Mannschaftskreis, aber entsprechend stolz landeten die Nationalspieler an verschiedenen Flughäfen in Deutschland und schworen sich, künftig öfter nach Medaillen zu greifen.

DEB-Team in Weltspitze angekommen

«Wir haben bei der Nationalmannschaft unsere Komplexe abgelegt», sagte Kapitän Moritz Müller nach dem vierten Platz in Riga. «Auf die Zukunft gesehen war das ein Riesenschritt für das deutsche Eishockey. Hoffentlich klappt es beim nächsten Mal besser», bilanzierte Topscorer Marcel Noebels.

In der Bewertung blieb viel mehr das unglückliche 1:2 gegen Vize-Weltmeister Finnland im Halbfinale hängen als das 1:6 gegen die USA im Spiel um Bronze, als die Köpfe nicht mehr bereit waren. «Wir können mit den großen Nationen mithalten», erkannte Korbinian Holzer, der neben Abwehrkollege Moritz Seider ins All-Star-Team gewählt wurde.

Anders als 2010, als eine Auswahl des Deutschen Eishockey-Bunds (DEB) zuletzt in einem WM-Halbfinale stand und am Ende ebenfalls Platz vier erreichte, wird das Abschneiden nun nicht als Ausreißer nach oben verbucht. Platz vier gilt jetzt als Gradmesser, nachdem 2018 bei den Olympischen Winterspielen bereits sensationell Silber heraussprang. «Seit Olympia hat man das Gefühl, dass das Bewusstsein da ist, dass man etwas schaffen kann», sagte Bundestrainer Toni Söderholm, der die selbstbewusste Mentalität seines Vorgängers Marco Sturm weiterlebt.

Langfristiges Konzept

Im DEB ist man fest davon überzeugt, dass es diesmal nicht wieder elf Jahre bis zu einem nächsten WM-Highlight dauert. Das Ziel von Franz Reindl war es nach seinem Amtsantritt als DEB-Präsident 2014, bis 2026 nachhaltig um Medaillen bei großen Turnieren zu spielen. Das dazu gehörige Konzept («Powerplay 2026») scheint früher als geplant umgesetzt. Nach Olympia-Silber 2018 kratzte Deutschland in Riga am WM-Finale und zog in der Weltrangliste vorbei an den Top-Nationen Tschechien und Schweden auf Rang fünf. «Der Kampf geht immer weiter», sagte Reindl der Deutschen Presse-Agentur jedoch. «Unser Konzept ist langfristig angesetzt. Das endet nicht. Man darf nie aufhören.»

Trotzdem will Reindl nun von Bord gehen. Im September wird ein neuer Präsident des Weltverbands IIHF gewählt, Reindl tritt zur Wahl an. Im kommenden Jahr wird dann ein neues DEB-Präsidium gewählt. Der Verband ist ohnehin im Umbruch. Stefan Schaidnagel, der Reindl einst als starken neuen Mann beerben sollte, ging als Sportdirektor im vergangenen Winter im Unfrieden. Er soll die sportlichen hohen Ziele allzu forsch und ehrgeizig eingefordert haben und dabei immer wieder angeeckt sein. Nachfolger Christian Künast soll mehr zu einem Wohlfühlklima beitragen. Wie es an der Verbandsspitze weitergehen kann und soll, ist unklar. Das birgt Gefahren. 2010 verpasste es das damalige DEB-Präsidium, Platz vier nachhaltig zu nutzen.

Ohne zu wissen, wie es strukturell weitergeht, will Künast im Sommer erste Gespräche mit Söderholm über eine mögliche Vertragsverlängerung über die kommenden WM 2022 in dessen Heimat Finnland hinaus führen. Wie wichtig eine weitere Zusammenarbeit mit dem 43-Jährigen wäre, verdeutlichten die Spieler noch einmal. «Er ist wirklich ein unglaublicher Trainer. Toni ist einer von uns. Wir spüren einfach, wie sehr er mit dem Herzen dabei ist», schwärmte Kapitän Müller. «Toni ist jemand, der sehr an uns glaubt», sagte Noebels und rühmte dessen Händchen beim Kaderpuzzle.

Nächster Schritt: Offensive verbessern

Im vergangenen Jahr hatte Söderholm die Corona-Zwangspause genutzt, um Fragebögen zu erstellen, die er allen potenziellen WM-Kandidaten zukommen ließ. Die Rückläufer wertete er psychologisch aus. Dabei erlangte er nach eigener Aussage «interessante Ergebnisse», die er für die Zusammenstellung des Kaders nutzte. In Riga hatte er auch ohne die Weltklasse-Spieler Leon Draisaitl und Philipp Grubauer sowie einige Olympia-Silbergewinner von 2018 eine Gruppe «ganz feiner Menschen» zusammen, die bestens harmonierte.

«Wir sind zu einer Familie gewachsen. Das wird mich lange, lange in meinem Leben begleiten», sagte Noebels. Offenbar akzeptierte jeder seine Rolle, auch wenn sie noch so klein war. «Wir haben versucht, so offen und ehrlich wie möglich mit den Spielern zu sprechen», sagte Söderholm. «Es ging immer nur ums wir», berichtete Noebels und ließ durchblicken, dass dies vor ein paar Jahren noch ganz anders war.

Der nächste Schritt für Söderholm ist nun, die teils mangelhafte Durchschlagskraft in der Offensive zu verbessern. «Das ist das Quäntchen, was noch fehlt zur Weltspitze», sagte Holzer. Kein Problem für den Coach. «Wir haben ein sehr starkes Fundament. Ich glaube an das, was wir tun», sagte Söderholm. «Es gibt auf alle Fälle viel Hoffnung.» Ob das auch für eine Vertragsverlängerung gilt, ist offen. Vor allem in seiner Heimat ist sein Wirken nicht verborgen geblieben.

Von Carsten Lappe und Kristina Puck, dpa