Beucher vor Paralympics: «IOC fehlt Verantwortung»

Beucher vor Paralympics: «IOC fehlt Verantwortung»

Die Show geht weiter – auch ohne Thomas Bach. Der IOC-Präsident, dem in Peking soeben eine Statue gewidmet wurde, wird den am 4. März beginnenden Winter-Paralympics nicht mit einer weiteren Reise nach China die Ehre erweisen.

Das Bedauern in der paralympischen Szene hält sich in Grenzen. «Das ist schade», sagt Friedhelm Julius Beucher, der Präsident des Deutschen Behindertensportverbandes (DBS) auf dpa-Anfrage lapidar.

Dass sie politisch nicht so sehr als Prestige-Objekt herhalten müssen wie Olympia, ist ein großer Vorteil der Paralympics. Und so wollen sich die Spiele der Behinderten-Sportler auch in China als die ursprünglicheren Spiele zeigen. Den Austragungsort sehen viele dennoch kritisch. Weswegen sich Beuchers Vorfreude «wirklich nur auf die Wettkämpfe beschränkt».

Beucher kritisiert die Vergabe der Spiele

Beucher, der Peking schon bei der Vergabe für die Sommerspiele 2008 im Jahr 2001 als Vorsitzender des Sportausschusses im Deutschen Bundestag kritisch sah, erklärte, dem IOC fehle «das Bewusstsein für gesellschaftspolitische Verantwortung». Nach solchen Vergaben seien die Athleten «die Opfer, die praktisch in Sippenhaft genommen werden. Und an Orten zu sportlichen Vergleichen gezwungen werden, für die es eigentlich keine gesellschaftliche Anerkennung geben darf».

Ein Verbot, sich über China zu kritisch zu äußern, erhalten die deutschen Sportlerinnen und Sportler nicht – wohl aber einen Hinweis auf mögliche Risiken. «Ich verbiete keinem den Mund. Jeder kann frei seine Meinung sagen. Das sind mündige Menschen», sagte der Präsident: «Aber ich habe auch eine Fürsorgepflicht. Wenn wir Hinweise kriegen, dass es zu Konsequenzen führt, sich in China zu gesellschaftlichen Themen zu äußern, muss ich meine Athleten darauf hinweisen.»

Er sei «mit vielen Leuten im Gespräch, die das Land sehr gut kennen», berichtete der 75-Jährige: «Und sie haben unisono bestätigt, dass sich nach 2008 in Bezug auf Freiheitsrechte und Menschenrechte nicht nur nichts verbessert hat, sondern dass es noch schlimmer geworden ist.» In Bezug auf die Lage von Menschen mit Behinderung in China müsse man aber «konstatieren, dass sich das seit den Paralympics 2008 entscheidend gebessert hat. Inwieweit das wirkliche Teilhabe ist, kann ich nicht beurteilen».

Barrierefreiheit in China mangelhaft

Den großen Durchbruch gibt es jedenfalls nicht. China hat rund 85 Millionen Behinderte, mehr als Deutschland Einwohner hat. Dennoch ist die Barrierefreiheit immer noch mangelhaft. Und der Glaube, dass sie mit behinderten Kindern für etwas Schlechtes in einem früheren Leben bestraft werden, unter den Eltern immer noch verbreitet.

Abwertung zeigt sich schon in der Sprache. Geistig Behinderte wurden oft schlicht als «Idioten» (Shazi) abgetan. Lange wurden Behinderte auch «Canfei» genannt: «Behindert und nutzlos.» Heute wird meist der auch nicht sehr gelungene Begriff «canji» benutzt, so viel wie «behindert und krank». Behindertenverbände plädieren für «Canzhang», was soviel wie «unvollständig» oder schlicht «behindert» bedeutet.

Der Umgang mit behinderten Menschen scheint Familien und Gesellschaft oft zu überfordern. Immer wieder werden skandalöse Fälle aufgedeckt, wo Behinderte auf dem Land in Käfigen oder angekettet und schlecht versorgt entdeckt werden. Zwar hat Chinas Regierung die UN-Konvention über die Behindertenrechte unterzeichnet, doch hapert es an der Umsetzung.

Immerhin verlangt die Regierung, mindestens 1,5 Prozent der Arbeitsplätze an Behinderte zu vergeben. Wer die Quote nicht erfüllt, muss Strafen bezahlen. Die Einnahmen fließen in einen Fonds, der die Berufsbildung und Arbeitsvermittlung für Behinderte unterstützt.

Von Holger Schmidt und Andreas Landwehr, dpa