Fernbeziehung Dresden-Detroit: Anna Seidel allein in Peking

Fernbeziehung Dresden-Detroit: Anna Seidel allein in Peking

Die Liebe muss warten. Dabei war der Plan so schön – und so romantisch: Wiedersehen im Zeichen der Ringe. Anna Seidel aber, Deutschlands beste Shorttrackerin, ist allein bei den Olympischen Winterspielen. Ihr Freund, Eishockey-Profi Moritz Seider, muss mit seinen Detroit Red Wings in der NHL spielen.

Seit inzwischen sieben harten Monaten haben sich die 23-jährige Dresdnerin und ihr drei Jahre jüngerer Freund nicht mehr gesehen. «Ich weiß auch nicht, wie wir das so hinbekommen. Wir telefonieren halt sehr, sehr viel, fast dreimal am Tag eigentlich», erzählt sie in Peking.

Seidels dritte Winterspiele

Trotz ihres jungen Alters ist Anna Seidel bereits zum dritten Mal bei Winterspielen. Ihr Debüt feierte sie bereits 2014 in Sotschi mit gerade einmal 15 Jahren. Sie ist zu diesem Zeitpunkt ein Ausnahmetalent in einer Sportart, die in Deutschland am äußeren Rand der öffentlichen Wahrnehmung stattfindet, der sie seither nicht nur durch ihre Erfolge ein Gesicht verleiht. Bilder von Fotoshootings auf ihrer Homepage und in ihrem Instagram-Account zeigen, warum.

Der Aufmerksamkeit für Shorttrack kommt es nun auch zugute, dass sie als dessen Aushängeschild seit geraumer Zeit mit dem Eishockey-Jungstar liiert ist. Kennengelernt haben sich die beiden Kufen-Cracks, als Seider noch beim EHC Erfurt spielte, den er 2015 Richtung Mannheim verließ. Was als Schreibfreundschaft begann, wuchs allmählich enger zusammen. «Dann hat sich das ein bisschen alles so entwickelt, wir wurden alle älter», sagt sie rückblickend.

Fernbeziehung Dresden-Detroit

Seidel und Seider leben ihre Fernbeziehung Dresden-Detroit inklusive sechs Stunden Zeitunterschied mit einer erstaunlichen Gelassenheit. «Wir wissen ja, dass es nicht für immer ist», sagt das Shorttrack-Ass. Corona und ihre Olympia-Ambitionen haben in dieser Wintersaison alle Wiedersehenspläne auf Eis gelegt. «Das hätte sich jetzt auch nicht gelohnt, für drei Tage dort rüber zu fliegen. Da muss man dann auch professionell sein und sagen: Das ist nicht die beste Regeneration. Also sind es dann sieben Monate», erzählt sie.

Dank ihrer professionellen Einstellung hat es Anna Seidel auch nach Peking geschafft. Sicher war das keineswegs, nachdem sie sich im März 2021 bei einem Trainingsunfall Schien- und Wadenbein gebrochen hat. Durch die Folgen ist sie noch immer gehandicapt. «Ich kann seit der Verletzung nicht mehr joggen. Ich glaube, ich humpele immer noch ein bisschen. Auf dem Eis geht es fast besser als auf dem Land», sagt die Dresdnerin. Die Metallplatte an beiden Knochen reibt und verursacht Schmerzen. «Mittlerweile ist es so, dass ich es aushalte.» Erst nach dieser Saison sollen die Fremdkörper wieder entfernt werden. «Dann wird es hoffentlich wieder normal.»

«Im Shorttrack ist alles möglich»

Trotz des Handicaps geht die zweimalige EM-Zweite ambitioniert in ihren Wettkampf. Am Mittwoch zum Abschluss der Shorttrack-Wettbewerbe startet sie über 1500 Meter. «Olympia hat immer eigene Regeln und Gesetze. Es gab so viele Stürze, so viele Favoriten sind rausgeflogen. Jeder ist nervös. Mein Ziel ist es, auf jeden Fall ins Halbfinale zu kommen. Da ist dann im Shorttrack alles möglich», betont sie. Moritz Seider, der wegen des coronabedingt in die Peking-Zeit ausgedehnten Spielplans der NHL Olympia verpasst, kann sich die Rennen zur Frühstückszeit ansehen. Am 16. Februar hat er spielfrei.

Wenngleich aktuell alle Aufmerksamkeit auf ihren Olympia-Start gerichtet ist, fiebert Anna Seidel ihrem Sehnsuchtsmonat März entgegen. Vom 18. bis 20. finden im kanadischen Montreal die Weltmeisterschaften statt. Und von dort aus will sie gut eineinhalb Flugstunden Richtung Südosten nach Detroit düsen, um endlich ihren Liebsten in die Arme zu schließen. «Jetzt haben wir noch sechs Wochen.» Zwar müsse sie als Sportsoldatin noch zu einem Bundeswehr-Lehrgang zurück nach Deutschland. «Aber bis dahin koste ich das erstmal aus. Wir müssen ja ein bisschen was aufholen, glaube ich», sagt Anna Seidel mit einem Augenzwinkern.

Von Martin Kloth, dpa