Lust und Frust im Doppelzimmer: Tournee-Start bewegt

Lust und Frust im Doppelzimmer: Tournee-Start bewegt

Die Gefühlswelten im deutschen Doppelzimmer hätten nach dem mitreißenden Auftakt der Vierschanzentournee kaum weiter auseinander liegen können.

Während Karl Geiger vor der Überfahrt von seiner Heimat Oberstdorf nach Garmisch-Partenkirchen am Ruhetag richtig Lust auf mehr verspürte, dachte sein Freund Markus Eisenbichler nach einem weiteren sportlichen Vollflop darüber nach, noch vor der berühmten Station an Silvester und Neujahr (jeweils 14.00 Uhr/ARD und Eurosport) aus dem Traditionsevent auszusteigen.

«Da glaubst du wirklich, da läuft der Mist jetzt auch noch bergauf», fluchte Eisenbichler, der nach seinem Aus im ersten Durchgang zeitnah das Gespräch mit Coach Stefan Horngacher suchen wollte. Dabei sollte die Kernfrage beantwortet werden: Ergibt diese «Qual», wie Deutschlands Rekord-Weltmeister Eisenbichler seine aktuellen Auftritte nennt, wirklich weiter Sinn?

Geiger rechtzeitig in Form, Eisenbichler hadert

Zimmerpartner Geiger hingegen ist nach seinem vierten Platz von Oberstdorf, wo nur der siegreiche Norweger Halvor Egner Granerud vor 25.000 Zuschauern punktemäßig schon deutlich weiter enteilte, nicht nur als deutsche Gesamtsieg-Hoffnung gefragt, sondern gerade in den nächsten Tagen auch als Zuhörer für seinen kriselnden Kumpel.

Sportlich ist der 29 Jahre alte Geiger mal wieder rechtzeitig in Form gekommen. Als er am Freitag seine Allgäuer Heimat per Auto in Richtung Garmisch verließ, waren seine Chancen in jedem Fall intakt. «Ich fühle mich ganz wohl, weil ich mir denke: Ich habe nichts zu verlieren. Ich kann voll auf Angriff gehen. Und vielleicht schaut ja was raus. Man muss immer bereit sein, man darf sich keine Schwäche erlauben. Ich habe Bock drauf», sagte Geiger.

Auf seiner Heimschanze am Schattenberg hatte der Familienvater selbst ohne seine zweijährige Tochter Luisa vor Ort mal wieder einen emotionalen Abend erlebt. Dass Granerud und die beiden Polen Piotr Zyla und Dawid Kubacki am Ende etwas stärker waren, machte Geiger kaum etwas aus. Nach seinen dürftigen Vorleistungen war schon dieses Resultat als Erfolg zu werten. «Es war schon Druck auf dem Kessel. Ich bin da sehr, sehr zufrieden. Wir sind deutlich näher herangekommen und sind definitiv auf einem sehr guten Weg», sagte Bundestrainer Stefan Horngacher.

Die große Sehnsucht nach dem goldenen Adler, die seit Sven Hannawalds Triumph 2002 inzwischen 21 Jahre unerfüllt ist, soll in diesem Winter beendet werden. Dafür gibt es trotz des sechsten Platzes von Andreas Wellinger eigentlich nur einen Anwärter: Geiger. «Er hat wirklich seinen Wettkampf-Geiger rausgeholt und ist voll aufs Pedal gestiegen», lobte Horngacher seinen Topathleten, der im Gegensatz zum schwer kriselnden Kumpel Eisenbichler rechtzeitig Sprünge auf absolutem Topniveau zeigt.

Eisenbichler: «Es nervt mich einfach»

Doch in den kommenden Stresstagen kann nicht nur Geiger für Eisenbichler wichtig werden, sondern auch andersherum. So sieht es zumindest Chefcoach Horngacher. «Man muss in Ruhe mit ihm reden, aber ich werde schon dafür appellieren, dass er (Eisenbichler) weiter mit dabei ist. Er kann das jetzt völlig entspannt sehen, sich ein bisschen beobachten und für die anderen Jungs da sein. Das ist auch wichtig», sagte der 53-Jährige. Der spontane und emotionale Eisenbichler ist im Team beliebt. Ein vorzeitiger Ausstieg, den Horngacher aktiv abzuwenden versucht, könnte auch Geiger und Co. einen Dämpfer versetzen.

Bei Eisenbichler (31) scheint aber deutlich mehr im Argen zu liegen als ein paar verkorkste Sprünge zur Unzeit. Der Bayer überlegte im Sommer, seine Karriere zu beenden und machte dafür mentale Probleme verantwortlich. «Es ist schwierig, so etwas zuzugeben», beschrieb Eisenbichler bei Eurosport. Leidenschaft und Emotionen hätten nach dem vergangenen Winter komplett gefehlt.

«Entweder ich hole mir Hilfe oder ich höre auf», beschrieb Eisenbichler seine Überlegungen vor dieser Saison. Zumindest fehlende Emotionen konnte man «Eisei» in Oberstdorf nicht vorhalten. Allerdings waren diese zuletzt ausschließlich negativ. Als er den Qualifikationstag am Mittwoch verpatzt hatte, polterte Eisenbichler in gewohnter Manier los. «Es nervt mich einfach. Ich könnte gerade irgendwas zusammendreschen.» Die grenzenlose Freude, die er zum Beispiel bei seinen insgesamt sechs WM-Titeln zeigte, sah man bei ihm schon lange nicht mehr.

Patrick Reichardt und Thomas Eßer, dpa