Nagelsmanns Ansage: Unruhige Weihnachten für Nationalspieler

Nagelsmanns Ansage: Unruhige Weihnachten für Nationalspieler

Mit dem Glückslos in der Tasche des dunklen Anzugs konnte sich Julian Nagelsmann gelassen den Weg durch die Gänge der Hamburger Elbphilharmonie bahnen. Weder das leichte Fieber noch der Gedanke an die anstrengende Autofahrt durch die Nacht zurück nach München brachten den Bundestrainer aus der Fassung.

Schottland, Ungarn und die Schweiz waren als Gruppengegner interessant genug, um glaubhaft respektvoll auf die Heim-EM zu blicken – aber auch leicht genug, um den Fokus sofort wieder zu verrücken. Die Fußball-Nationalspieler bekamen kurz vor Weihnachten eine deutliche und wenig besinnliche Ansage.

«Eines kann ich versprechen – dass wir nicht hilflos sind», sagte Nagelsmann in einem kleinen Saal des großen Konzerthauses und kündigte nach den massiven Novemberenttäuschungen deutliche Veränderungen in der DFB-Auswahl an, inhaltlich wie personell. Für den ein oder anderen Spieler könnte der Traum vom Heim-Turnier schon im März plötzlich ganz weit weg sein. Gedanken machen muss sich nach dem 2:3 gegen die Türkei und 0:2 in Wien gegen Österreich praktisch jeder.

Deutschland ist kein Favorit

«Es gibt jetzt keine Radikalkur, dass wir zehn Spieler zu Hause lassen und zehn neue einladen, aber es wird schon etwas verändern in der Struktur, weil wir auch eine veränderte Nationalmannschaft haben vom Selbstverständnis, in der Art und Weise, wie wir auftreten», sagte Nagelsmann und ließ damit viel Interpretationsspielraum. Vom Finalziel, das Verbandschef Bernd Neuendorf aus dem Nichts ausgegeben hatte, war keine Rede mehr.

«Wir dürfen gar keinen unterschätzen. Wir müssen schauen, dass wir wieder in die Spur kommen», sagte DFB-Sportdirektor Rudi Völler, der den März-Plan mit Testspielen in Frankreich und gegen die Niederlande bestätigte. Mit seiner nebulösen Ankündigung eines Umbruchs eröffnete Nagelsmann die jetzt viermonatige Diskussion von Fans und Experten, was – und wen – der Bundestrainer gemeint haben könnte. Das schien von Nagelsmann genau so gewollt.

Angeschlagener Nagelsmann trotzt Schneechaos

Gut acht Stunden lang hatte der 36-Jährige vor der Auslosung im Auto gesessen, um es von München trotz des wegen Schneetreibens im Süden gestrichenen Fluges doch noch rechtzeitig in die Elbphilharmonie zu schaffen. Teilweise schon mit Fieber, wie der gesundheitlich angeschlagene Bundestrainer berichtete. Wer so lange am Steuer auf der Autobahn fährt, kann sich viele Gedanken machen. Am Morgen war der Bundestrainer dann zurück in München.

«Julian ist ein junger Kerl, der hat sich ins Auto gesetzt. Er wollte unbedingt dabei sein», sagte Völler mit einer Geste, dass ihm dieser Einsatz gefalle. Der einstige Teamchef predigt seit Wochen die Demut, mit der das Nationalteam es zurück in die Herzen der Fans schaffen könne. Die Nationalmannschaft sei «kein Team, das auf den Platz kommt aktuell und den Gegner wegspielt», sagte Nagelsmann.

EM-Gegner mit Vorgeschichte

Deshalb sind Schottland, Ungarn und die Schweiz zwar nicht die Niederlande, Italien und Dänemark. Aber dennoch anspruchsvolle Aufgaben – jede auf ihre Weise. Zum Auftakt gegen die Schotten am 14. Juni in München werden Zehntausende Auswärtsfans in der bayerischen Landeshauptstadt erwartet. «Positiv verrückte Fans», sagte Turnierchef Philipp Lahm. Das zweite Spiel gegen Ungarn am 19. Juni hat die Vorgeschichte des politisch aufgeladenen EM-Gruppenspiels 2021 mit Leon Goretzkas Herz-Geste vor wütenden, rechts orientierten ungarischen Fans.

Die Schweiz zum deutschen Abschluss der Vorrunde am 23. Juni in Frankfurt/Main sei «auf dem Papier» vielleicht der stärkste Gegner, meinte Nagelsmann. Nati-Trainer Murat Yakin hat eine Bundesliga-Vergangenheit, Anführer Granit Xhaka, der mit Bayer Leverkusen für Furore sorgt, wohnt in Düsseldorf im Haus von Völler, wie dieser berichtete. «Wir haben Respekt vor allen Gegnern, aber die haben auch Respekt vor uns», sagte Neuendorf. Furcht und Angst verbreitet die DFB-Auswahl aber schon lange nicht mehr, bereits im Achtelfinale droht England, Spanien oder Italien.

Mit einem März-Umbruch hatte es vor vier Jahren auch Joachim Löw versucht, der damalige Bundestrainer warf Mats Hummels, Jérôme Boateng und Thomas Müller aus dem Kader – geholfen hat es nichts. Hummels und Müller feierten später ihr Comeback und gehörten auch zu Nagelsmanns Auswahl im Oktober und November. «Ich habe eine klare Meinung zu allen Spielern», sagte Nagelsmann – und nannte nur einen Namen.

Die Nummer eins

Kapitän Manuel Neuer werde in den Kader zurückkehren, «wenn er gesund bleibt und so spielt wie jetzt», bestätigte der Bundestrainer. Das Rennen um den EM-Platz im deutschen Tor wird im März ein Hauptthema rund um die DFB-Auswahl sein. Marc-André ter Stegen fehlte bei den Novemberspielen verletzungsbedingt, was mit Blick auf die Ergebnisse für ihn vielleicht verschmerzbar war, ihn aber wieder kostbare Spielminuten gekostet hatte.

Neuer wird mit dem Anspruch zurückkehren, die Heim-EM über die gesamte Spielzeit auf dem Feld zu erleben – zum Auftakt vor Zehntausenden schottischen Fans in der heimischen Münchner Arena.

Jan Mies und Arne Richter, dpa