«Schwung mitgenommen»: EM-Fieber steigt nach DFB-Sieg

«Schwung mitgenommen»: EM-Fieber steigt nach DFB-Sieg

Matchwinner Niclas Füllkrug klatschte freudestrahlend mit seinen Teamkollegen ab, die verzückten Fans jubelten begeistert, und aus den Lautsprechern dröhnte der Queen-Hit «Don’t Stop Me Now». Die Fußball-Nationalmannschaft hat einen perfekten Start ins EM-Jahr hingelegt und Hoffnungen auf ein neues Sommermärchen geweckt.

80 Tage vor dem Eröffnungsspiel bei der Heim-EM gewann die von Bundestrainer Julian Nagelsmann neuformierte DFB-Elf nach dem 2:0 in Frankreich auch den zweiten großen Test gegen Oranje mit 2:1 (1:1).

«Die gute Nachricht ist, dass wir zwei sehr gute Testspiele gemacht haben. Die schlechte ist, dass das keine Punkte bringt fürs Turnier», sagte der einmal mehr spielstarke Rückkehrer Toni Kroos bei RTL. Nach dem frühen Rückstand durch Joey Veerman (4. Minute) habe das Team eine starke Reaktion gezeigt, meinte der Profi von Real Madrid. Vor ein paar Monaten wäre die Mannschaft «halb zusammengebrochen, aber das ist nicht passiert». Man habe «den Schwung mitgenommen» aus dem Sieg gegen Frankreich.

Mittelstädt trifft wunderschön

Der Stuttgarter Maximilian Mittelstädt hatte mit einem wunderschönen Distanzschuss unter die Latte schnell ausgeglichen (11.), der eingewechselten Füllkrug (85.) erzielte mit der Schulter das verdiente Siegtor. Das deutsche Team demonstrierte bei der Premiere im pinken Trikot im ausverkauften Frankfurter EM-Stadion mit seiner Spielfreude und dem Einsatzwillen die lange vermisste Turnierreife. Unter dem ehrgeizigen Nagelsmann entwickelt sich etwas.

Der Bundestrainer hat in nur einer Woche eine Formation gefunden, der nach Jahren der Tristesse bei der EM viel zuzutrauen ist – vielleicht sogar alles. Vor dem Turnier-Ernstfall am 14. Juni in München gegen Schottland kann Nagelsmann im Trainingslager und den Tests gegen die Ukraine und Griechenland noch am Feinschliff arbeiten. 

Vor dem Anpfiff wurde zu Ehren der gestorbenen Weltmeister Franz Beckenbauer und Andreas Brehme eine Schweigeminute abgehalten. Rudi Völler war davon besonders berührt. Kurz davor hatte der DFB-Sportdirektor über das Stadionmikrofon den Fans versprochen: «Wir wollen den Schwung mitnehmen und nachlegen.» Nagelsmann schickte dafür dieselbe Startelf wie beim überzeugenden Start ins EM-Jahr aufs Feld. Doch zunächst lief die Partie anders als gegen Frankreich.

Diesmal lag das deutsche Team nicht früh in Führung, sondern schnell zurück. Nach einem schwachen Rückpass von Mittelstädt agierte Innenverteidiger Jonathan Tah gegen Memphis Depay zögerlich. Der Oranje-Angreifer konnte relativ ungehindert nach innen flanken, wo Veerman ungedeckt per Volleyschuss sehenswert vollendete.

Rasche Antwort nach Rückstand

Die DFB-Auswahl zeigte sich davon nicht geschockt – im Gegenteil. Die rasche Antwort kam ausgerechnet von Mittelstädt, der mit einem wuchtigen Linksschuss unter die Latte nach einer kurz ausgeführten Ecke von Kroos und Vorlage von Jamal Musiala seinen Fehler vor dem 0:1 ausbesserte. Wie schon gegen Frankreich beim Acht-Sekunden-Rekordtor von Florian Wirtz direkt nach dem Anstoß war die DFB-Elf nach einer einstudierten Aktion zum Torerfolg gekommen. 

Das erste Tor im zweiten Länderspiel des Stuttgarter Linksverteidigers Mittelstädt feierten die Fans «völlig losgelöst»: Im Nachbarduell erfüllte der DFB den Wunsch vieler Anhänger, «Major Tom» von Peter Schilling bei eigenen Toren zu spielen. Bis zum Abschluss einer Online-Petition waren knapp 70.000 Stimmen dafür zusammengekommen.

Nach dem 1:1 kontrollierte Deutschland weitestgehend das Spiel. Im defensiven Mittelfeld gab Rückkehrer Kroos erneut den ballsicheren Taktgeber, eine Art Quarterback, der sich von der Manndeckung durch Tijjani Reijnders immer wieder befreien konnte. Vor Kroos ließen die beiden Offensiv-Youngster Musiala und Florian Wirtz ihre Klasse aufblitzen. Sie rotierten viel und waren für die niederländische Verteidigung kaum zu greifen. Nach einem feinen Pass von Musiala hatte Ilkay Gündogan in der 18. Minute das 2:1 auf dem Fuß. Doch der Abschluss des Kapitäns war kein Problem für Gäste-Torhüter Verbruggen.

Insgesamt war Gündogan in seinem 75. Länderspiel besser im Spiel als zuletzt in Frankreich. Der Profi des FC Barcelona verhinderte zudem in der 33. Minute den zweiten Oranje-Treffer, als er nach einer Kopfballvorlage des Münchners Matthijs de Ligt vor dem einschussbereiten Dortmunder Donyell Malen zur Ecke rettete.

Niederlande nach der Pause zunächst besser

Nach dem Seitenwechsel kamen die Gäste etwas besser aus der Kabine, und die Deutschen zeigten sich in der Abwehr wie bei der Großchance von Depay (61.) mitunter anfällig. Das erste deutsche Ausrufezeichen der zweiten Halbzeit setzte erneut Mittelstädt, der mit einem satten Distanzschuss Verbruggen prüfte (65.).

Insgesamt wurde das Spiel auf rutschigem Rasen aber zwischenzeitlich schlechter. Nagelsmann reagierte und brachte in Thomas Müller und Füllkrug zwei frische Offensivkräfte, das Unentschieden schien ihm nicht genug. Die Spieler auf dem Rasen schienen die Botschaft verstanden zu haben und erhöhten nochmal den Druck. Musiala (76.) und Müller (83.) scheiterten zunächst mit zwei guten Chancen, dann schlug Füllkrug zu: Nach einer Ecke von Kroos bugsierte der Dortmunder den Ball mit der Schulter ins Tor.

Von Klaus Bergmann, Arne Richter und Jörg Soldwisch, dpa